Erfahrung bedeutet nicht automatisch Wissen
- Sandra Rodwell
- 10. Apr.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 3 Tagen
In unserer Arbeit als Pferdetrainerinnen stoßen wir immer wieder auf ein Phänomen, das uns gleichermaßen fasziniert wie herausfordert: Viele ReiterInnen sind fest davon überzeugt, dass sie alles Wesentliche rund ums Pferd und das Pferdetraining bereits wissen. Schließlich haben sie „schon immer Pferde“, „reiten seit der Kindheit“ oder sind „mit Pferden groß geworden“. Das klingt beeindruckend – und ist zweifellos mit wertvollen Erfahrungen verbunden. Doch leider bedeutet Erfahrung nicht automatisch Verständnis.
Wenn Erfahrung zur Barriere für Weiterentwicklung wird
Viel zu häufig verstellen uns genau diese Überzeugungen den Weg zur Weiterentwicklung – beim Pferd wie beim Menschen. Aussagen wie „Das habe ich schon immer so gemacht“ oder „Früher ging das auch so“ klingen in unseren Ohren wie Schranken, die sich vor jedem neuen Input verschließen. Und gerade, wenn es um die Grundlagen geht – um feines Timing, um Körpersprache, um klare Kommunikation mit dem Pferd –, wird es besonders heikel.
Die Bedeutung der Basisarbeit – auch für Fortgeschrittene

Denn die Basis ist nicht nur etwas für Anfänger. Im Gegenteil: Sie ist das Fundament, auf dem alles andere aufbaut. Wenn dort etwas wackelt, wird jede noch so fortgeschrittene Technik instabil. Doch wie erklärt man einem Menschen, der sich selbst nicht als Anfänger sieht, dass genau dort der Schlüssel liegt?
Die Herausforderung für uns TrainerInnen
Unsere Aufgabe als TrainerInnen ist dann fast schon eine Art pädagogischer Drahtseilakt: Wir müssen Basiswissen vermitteln – ohne dass es wie Basisunterricht wirkt. Wir müssen an den Wurzeln arbeiten – ohne dass unser Gegenüber sich dabei „herabgestuft“ fühlt. Das erfordert nicht nur Fachwissen, sondern auch viel Feingefühl, Empathie und manchmal eine gute Portion Geduld.
Erfahrung ist nicht gleich Verständnis
Viele dieser ReiterInnen haben tatsächlich ein Leben mit Pferden verbracht – sie kennen die Abläufe im Stall, können Futterpläne auswendig, erkennen eine Kolik auf hundert Meter. Aber diese Art von Erfahrung ersetzt nicht das tiefe Verständnis für biomechanische Zusammenhänge, für Lernverhalten, für feine Hilfengebung. Und oft fehlt auch das Bewusstsein für das eigene Verhalten, die eigene Körpersprache – obwohl genau das im Umgang mit Pferden so entscheidend ist.
Pferde fordern unsere Ehrlichkeit – jeden Tag neu
Ein Pferd lebt immer im Moment. Es bewertet nicht, wie lange wir schon reiten oder ob wir Turnierschleifen an der Stallwand hängen haben. Es reagiert auf unsere Klarheit, auf unsere innere Haltung, auf die Qualität unseres Umgangs. Und gerade deswegen fordert es uns immer wieder auf, uns selbst zu hinterfragen. Nicht, weil wir es müssen – sondern weil es der fairste Weg ist, dem Pferd gerecht zu werden.
Die Kraft der Demut und des Neuanfangs
Besonders schwer wird es, wenn wir auf Widerstand stoßen, weil Menschen sich durch das Hinterfragen ihrer Grundlagen angegriffen fühlen. Dabei geht es nicht um Kritik – es geht um Weiterentwicklung. Manchmal wünsche ich mir, dass wir im Pferdebereich mehr Demut entwickeln. Dass wir bereit sind, auch nach Jahrzehnten noch neugierig zu sein. Dass wir sagen können: „Ich weiß viel, aber ich bin noch lange nicht am Ende meines Weges.“

Fazit: Zurück zur Basis – nicht aus Mangel, sondern aus Überzeugung
Denn das ist doch das Schöne an der Arbeit mit Pferden: Sie sind so fein, so ehrlich, so tiefgründig – dass wir nie auslernen. Jeder Tag mit ihnen kann eine neue Erkenntnis bringen. Wenn wir bereit sind, hinzuschauen. Wenn wir bereit sind, immer wieder zur Basis zurückzukehren, nicht aus Mangel, sondern aus Überzeugung.
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