Gerte? Brauch ich nicht...
- Karen Golz
- 8. Feb.
- 3 Min. Lesezeit
Kaum ein Hilfsmittel wird so kontrovers diskutiert wie der Einsatz der Gerte oder der Peitsche. Und das zu Recht.
Denn: so viele unterschiedliche Gerten und Peitschen es gibt – so unterschiedlich kann auch der Einsatz von den Dingern sein. Von grob und schmerzhaft über irreführend bis hin zu „fein, feiner, unsichtbar“ für die eindeutige Kommunikation mit dem Pferd.
„Hau mal richtig drauf!“
Bilder, die wir nach den Olympischen Spielen 2020 nicht vergessen: Im Fünfkampf drischt die völlig verzweifelte Reiterin Annika Schleu mit der Gerte auf ein Pferd ein, das unter ihr nicht springen will. Das Pferd verweigert trotzdem weiter.
Das geht auch anders!
Ich höre immer wieder die Sätze:
„Mein Pferd kennt die Gerte nicht.“
„Mein Pferd reagiert krass heftig auf die Gerte.“
„Mein Pferd hat Angst vor der Gerte.“
„Ich brauch die Gerte nicht.“
Ich denk dann immer: schade.
Richtig angewendet, kann die Gerte Dich in der Kommunikation mit Deinem Pferd super schön unterstützen. Dabei reicht es oft, die Gerte nur zu heben, um eine weichende oder begrenzende Wirkung auszulösen.

Pferde sind Bewegungsseher und kriegen es ganz wunderbar mit, wenn sich die Gerte oder die Peitsche in Deiner Hand bewegen. Du kannst die Gerte auch an gewünschter Körperstelle anlegen und dem Pferd so noch besser verständlich machen, was für eine Aufgabe es gerade erfüllen soll.
Timing
Wenn Dein Pferd auf die Gertenhilfe richtig reagieren soll, muss es das auch können. Es macht also keinen Sinn, das Bein zum Abfußen zu animieren, wenn es gerade aufsetzt und gar nicht weg kann. Blickschulung ist hier angesagt.
Sinnhaftigkeit
Wenn Dein Pferd auf das Anzeigen der Gerte antreten oder schneller laufen soll, macht es natürlich keinen Sinn, dauerhaft mit der Gerte zu wedeln. Das Pferd fragt sich dann zu recht, was Du von ihm willst. Denn es läuft ja schon. Hä?
Das heißt, Du musst den Reiz sofort wieder entfernen, wenn das gewünschte Verhalten gezeigt wird. Sonst kann es passieren, dass das Pferd in seinem Bestreben, Deinen “Wunsch” zu erfüllen, Dir ganz anderes Verhalten anbietetund was vom Menschen dann oft als Widersetzlichkeit interpretiert wird Leider auf den Longierzirkeln da draußen immer wieder zu beobachten
Ermuntern versus verängstigen
Grundsätzlich möchte ich nicht, dass mein Pferd vor irgendwas Angst hat.
Dazu gehört auch die Gerte. Ich führe sie auch bei Spaziergängen immer mit mir, um z.B. distanzlose Hunde abzuwehren.
Und weil ich die Gerte als feine Unterstützung so schätze, trainiere ich mit meinem Pferd und mit Kundenpferden als erstes nicht nur die Akzeptanz, sondern auch das Verständnis für das Teil.
Weniger ist mehr
Der Trugschluss und die Meinung, die sich leider immer noch hält: mehr hilft mehr.
Dabei haben das schon längst Studien widerlegt. Nur weil z.B. der Rennreiter mehr auf das – im letzten Teil des Rennens eh schon erschöpfte – Pferd eindrischt, läuft es NICHT schneller.
Warum ich das erzähle
Wenn Du Dich fragst, ob die Berührung mit Deiner Gerte für das Pferd schmerzhaft sein könnte – mach doch einfach mal den „Selbsttest“: Touchiere Dein nacktes Bein mit der Gerte, die Du zum Training benutzt.
Welche Intensität bei der Berührung reicht schon, damit Du was merkst (das reicht!)?
Und wann wird es unangenehm oder tut sogar weh (das willst Du nicht!)?
Good to know:
Gibt es irgendeinen anatomischen Grund anzunehmen, dass Pferde Schmerz anders empfinden als Menschen? Die Wissenschaftlerin Dr. Lydia Tong sagt „nein“ und begründet das auch:
Die Pferdehaut ist an einigen Stellen tatsächlich dicker als beim Menschen.
Menschen denken daher: dickere Haut = gemindertes Schmerzempfinden und größerer Schmerztoleranz (nicht umsonst gibt es die Redewendung von der ,dickeren' Haut, die jemand hat).
Aber:
Die oberste Schicht der Pferdehaut, die Epidermis, ist bei Pferden (durch pathologische Untersuchungen nachgewiesen) jedoch dünner als beim Menschen. Autsch!
Pferde haben beträchtlich mehr sensorische Nervenenden im Hautgewebe und sind daher mit hoher Wahrscheinlichkeit auch schmerzempfindlicher.
Erzählen können sie es uns ja leider nicht.
Man kann also durchaus argumentieren, dass bei Schmerzimpulsen wie dem Gerteneinsatz die Pferdehaut „dünner“, sprich: empfindlicher ist, als die des Menschens.
Abschließend lässt sich sagen: Der Einsatz der Gerte erfordert nicht nur Fingerspitzengefühl und gutes Timing, sondern auch ein tiefes Verständnis dafür, wie Pferde Reize wahrnehmen und verarbeiten – nur so wird sie zu einem Werkzeug der feinen Kommunikation und nicht zu einer Quelle von Schmerz oder Missverständnissen.
Verwendest Du eine Gerte oder nicht? Was sind Deine Pro- bzw. Contra-Argumente?
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